Als Marc Crawford erfährt, dass bei den ZSC Lions ein neuer Trainer gesucht wird ab Sommer 2023, zögert er nicht lange. Er schreibt eine Mail an Sportchef Sven Leuenberger und teilt ihm mit, dass seinerseits ein grosses Interesse an diesem Job bestehe. «I just love Zurich – the city number one in Europe», ist die simple Antwort auf die Frage, «warum zurück zu den Stadtzürchern.» Wenige Wochen später steht er bereits im Löwen-Anzug an der Bande und dirigiert seine Mannschaft beim Neujahrsspiel gegen den EHC Biel zum 2:1-Heimsieg. Früher als erwartet und doch zum richtigen Zeitpunkt. Er kommt aus dem Schwärmen über alte Zeiten und die Region Zürich nicht heraus. «Ich habe meiner Frau sofort gesagt, dass es erneut eine unglaubliche Gelegenheit ist, die wir nicht bereuen werden.»

 

Alter Trainer, neuer Coach

 

Die Schweizer Hockeywelt kennt Crawford aus seiner ersten Amtszeit zu gut. Bei den ZSC-Fans bleibt er nicht nur dank dem Meistertitel 2014 und Cupsieg 2016 in guter Erinnerung, sondern auch als Person: Leidenschaftlich, laut, humorvoll, explosiv, feinfühlig, siegeswillig und sich treu. Trotzdem gesteht der Trainer ein, dass er sich mit dem Wandel der Zeit verändern musste und gewisse Dinge anders handhabt als noch bei seiner ersten Amtszeit. «Es braucht die richtige Balance zwischen Passion, Mut und Erfahrung.» Emotionen dürften nicht ausser Kontrolle geraten, das habe er in den vergangenen Jahren gelernt. Marc Crawford verliert in all den Jahren die Lions-Organisation nie aus den Augen. Nun möchte er die Mannschaft wieder an die Spitze des Schweizer Eishockeys führen. «Ich bin hier, damit wir wieder Schweizer Meister werden. Punkt.» Die Ansage des Trainers ist klar und die Marschroute steht. «Die Mannschaft muss wieder als Einheit atmen und auftreten. Jeder einzelne Spieler muss wissen, was es braucht, um erfolgreich zu sein. Sie brauchen ein gemeinsames «Big Picture», für das es sich zu kämpfen lohnt – jeden einzelnen Tag.» Um das mit seinen Akteuren zu erreichen, lotst er einen alten Weggefährten zurück nach Zürich: Assistenztrainer Rob Cookson. Den Part seines Kollegen schätzt er sehr hoch ein und verdankt seine bisherigen Erfolge auch ihm. «All meine Erfolge habe ich zusammen mit Rob gefeiert und sein Anteil daran ist immer gross gewesen. Er tickt anders als ich und ist die wichtigste Ergänzung zu meiner Trainerperson.» Eine grundlegende Sache hebt er zusätzlich hervor, nämlich das «Schweizerdeutsch» in der Kabine. Mit Stephan Sigfried als Goalie Coach haben oder mit dem kurzzeitigen Interimsassistent Michael Liniger hatten die Spieler eine Möglichkeit, sich in ihrer Muttersprache auszudrücken. Ein wichtiger Punkt, den er als entscheidend empfindet.

Weg vom Rampenlicht

 

Ein aktiver Coach wie Marc Crawford, der während einem Spiel mit vollem «Körpereinsatz» mittendrin statt nur dabei ist, braucht daneben ruhige Momente. Momente, um sich zu sammeln, die Gedanken neu zu sortieren – weg aus dem Rampenlicht der Schweizer Eishockeystadien. Als wir durch das kleine Altstädtchen von Eglisau flanieren, wird der Kanadier nostalgisch. Für ihn ist dieser Ort nach all den Jahren weiterhin eine Augenweide. Allerdings hat sich Eglisau in den vergangenen Jahren verändert, genauso wie der Trainer selbst – doch den Charme hat die Ortschaft behalten, ebenso wie er, meint er augenzwinkernd. Hierher kommt er gerne mit seiner Frau Helene, geniesst einen Spaziergang und gönnt sich genüsslich einen frisch gebrauten Kaffee in einem Lokal.


Daheim in Winkel

 

Sein altes neues Zuhause ist Winkel. Unweit weg von seiner alten Wohnung fühlt er sich bereits wieder daheim. Zu schön sind die Erinnerungen an alte Tage, zu gemütlich die Gegend. In seiner alten Wohnsiedlung hat er mit seiner Frau und vielen ehemaligen Weggefährten Freundschaften geschlossen. Besonders angetan hat es ihm damals die Bäckerei «Genter» gleich um die Ecke. An selbem Ort befindet sich nun die Bäckerei «Fleischli», die der Lions-Coach ebenfalls rege besucht und sich dort sein absolutes Lieblingsgebäck besorgt: eine Nussstange. Die süsse Versuchung lobt der 62-jährige auch beim neuen Beck: «Sie ist unheimlich lecker und der Beck immer einen Besuch wert.» Der alten Tage zuliebe spazieren wir an seiner ehemaligen Wohnung vorbei. «Hier haben meine Frau und ich unvergessliche Momente erlebt. In der Nachbarschaft hatten wir Spieler wie Bergeron, Keller, Matthews oder McCarthy. Diese Nähe zu den Spielern war etwas Aussergewöhnliches. In der NHL kannst du neben dem Eis kaum solch spezielle Bindungen zu den Spielern aufbauen. Doch hier in Zürich war das möglich.» Seine Frau Helen hat sogar zeitweise als Babysitterin fungiert. «Damals haben uns Leute gewarnt, wir könnten doch nicht einfach auf die Kinder der Spieler schauen. Wo bleibe da die Professionalität in der Beziehung zwischen Spieler und Trainer?» Im Nachhinein war es eine wertvolle Erfahrung und ein wichtiges Element, die zu einer tollen Verbindung zwischen Coaching Staff und dem Team geführt hätten. Doch Marc Crawford will in seiner zweiten Amtszeit nicht von der Vergangenheit leben. Er will eine neue Erfolgsgeschichte schreiben und in der Swiss Life Arena seinen nächsten Schweizer Meistertitel feiern. Die Ambitionen sind gross, genauso wie der Hunger nach neuen Erfolgen.